
Exhibition view

Aberration I, 2019

L > R Entanglement I & IV & II, 2019

Left Entanglement IV, 2019 | Right Entanglement II, 2019

Left – O.T. – 1, 2109 | Right – O.T. – 2, 2109

Exploration, print 1, 2019

Reverse Archaeology, 2019



Iterations, 2019
Galerie3 | Klagenfurt
Knorrige Schlaufen und Schlingen. Äste, die sich in alle Richtungen winden. Ein Gewirk aus Schnörkeln, Biegungen und Brechungen bildet das Astwerk der Süntelbuche, einem beinahe mythisch anmutenden Baum. Ungeklärt, warum sich ihre Äste verdrehen, zurück in den Boden wachsen, anstatt in die Höhe. Vielleicht eine Mutation, ein Defekt, der zu Verformungen führt, die Gewächse aber gleichzeitig vor industrieller Zerstörung schützt.
Mit ITERATIONS präsentiert Simon Goritschnig neue Arbeiten, die 2019 in Reims und Wien entstanden sind. Sie sind ein Versuch, die Ordnungsprinzipien der Natur in ihren Schichten und Mutationen zu begreifen. Dabei geht der Künstler in seinen grafischen, skulpturalen und ortsspezifischen Arbeiten mit kindlicher Neugier ebenso vor wie mit archäologischer Akribie: Den ‚Faux de Verzy‘, Europas größten Süntenbuchenwald in der Nähe von Reims, erkundete er – gleich einem Vermesser – mittels Fotografie und 3D-Scans. Die großformatige Zeichnung Aberration ist ein Resultat dieser Recherche. Die organischen Formen des Walds verfremdet Goritschnig mit digitalen Mitteln und setzt sie neu zusammen, bevor er sie händisch auf die Leinwand überträgt. Seine künstlerische Praxis von Fragmentierung und Collage greift dabei wiederum das Prinzip der genetischen Rekombination auf. Organische Formen lässt er auf digitale, algorithmische Strukturen treffen, um Momente der Irritation zu erzeugen: „Das Auge muss springen.“
Diese Verzahnung von Gegensätzen zieht sich als roter Faden durch die Ausstellung: Die Serie kleinformatiger Buntstiftzeichnungen Entanglement experimentiert mit der Erfindung einer fiktiven Natur. Eine, die nach ganz eigenen Regeln funktioniert, aber dennoch einer Ordnung gehorcht. Es sind Bilder, die Naturmaschinen bauen, wie der Künstler selbst formuliert. Schnell beginnen die narrativen Strukturen sich zu einem Ganzen zusammenfügen, man meint in ihnen Geschichten zu erkennen. Ein narratives Potenzial, mit dem auch Reverse Archaeology spielt. Die reliefartige Betonskulptur erweckt den Anschein eines Fossils. Unklar bleibt, was für einem Tier die Knochen gehörten, woran es verendet ist, und wie die die geschwürartigen Wucherungen an seinem Skelett zu erklären sind. Wo der Künstler sonst versucht intrinsische Mechanismen der Natur abzubilden, verkehrt er nun seine Vorgehensweise.
So bildet sich ein komplexes Geflecht aus naturwissenschaftlichen Bezügen und fantastischen Assoziationen. Schicht um Schicht legt Simon Goritschnig dabei Strukturen frei – und deckt sie gleichermaßen wieder zu. Wie ein Schleier legt sich im Lichthof Exploration, print 1 über das raue Betonrelief. Die zehn Meter lange Fahne aus feinstem Nylon gleicht in ihrer transparenten Fragilität einer Membran. Ihr abstraktes Muster entspringt einer Grabung in digitalen Mutationsschichten, die das found footage medizinischer Computertomographie-Scans seziert. Der entstandene Moiré-Effekt lässt sich im Kontext der Ausstellung durchaus als Verweis auf die Jahresringe eines Baums lesen. Eine Schichtung, die die Natur von innen heraus ordnet. Eine Schichtung, die als künstlerisches Prinzip den ITERATIONS zugrunde liegt.
Text: Kathrin Heinrich